Was dürfen Kosmetikfirmen versprechen? Zwischen Wahrheit und Illusion

Werbeaussagen zu kosmetischen Mitteln

Was dürfen Kosmetikfirmen versprechen?

Neulich schrieb ein kosmetischer Chemiker Perry Romanowski auf seinem Blog den folgenden Satz:

„Die Kosmetikindustrie ist nicht Technologie getrieben. Vielmehr basiert sie auf erfundenen Marketinggeschichten. Und ein der Schlüsselelemente darin sind Behauptungen über das jeweilige Produkt.“ (meine Übersetzung)

Solche Behauptungen werden nicht selten so kühn, dass sie aus einem einfachen Moisturizer etwa Dermatokosmetik mit botanischen Wunderextrakten und einer außergewöhnlich wirksamen Wirkstoffkombination kreieren.

Autsch! 

In unserer Blogreihe über „Absurde Versprechen der Kosmetikindustrie“ (hier) stellen wir oft die Frage, wie kann es überhaupt sein, dass einfache Öl-in-Wasser-Emulsionen plötzlich zu berühmten Anti-Aging Pflegeprodukten werden – und das mit absolut unhaltbaren, dennoch für Kunden attraktiven, Wirkungsversprechen.
Heute gehen wir ein Stück weiter und fragen, inwiefern es rechtskonform ist, Kunden in die Irre zu führen?
Um es vorab zu nehmen:
Diese Frage werden wir nicht eindeutig beantworten können. Dafür ist der rechtliche Rahmen zu breit aufgestellt. Ich hoffe aber, dass allein die Auseinandersetzung mit dem Thema uns helfen wird, Werbeversprechen der Kosmetikindustrie mit wachem Auge wahrzunehmen und weniger oft in eine „Falle“ gelockt zu werden.

Quiz zu Wettbewerbspraktiken

Unsere laienhaften Überlegungen zu Werbeaussagen zu kosmetischen Mitteln möchte ich mit ein paar Quiz-Fragen starten.

Seid Ihr dabei?

Dann los geht’s:

  1. Das deutsche Wettbewerbsrecht untersagt:
    1. Herstellerangaben zu Wirkstoffkonzentrationen
    2. Irreführung der Verbraucher
  2. Die Verordnung der EU-Kommission von 2013 (Nr. 655) sieht folgende Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln vor:
    1. Zumindest zwei klinische Doppelblindstudien
    2. Wahrheitstreue, Belegbarkeit, Redlichkeit, Lauterkeit und fundierte Entscheidungsfindung
  3. Der Kosmetikverbraucher findet in den Werbeaussagen zu kosmetischen Mitteln
    1. in der Regel eine gute Orientierungshilfe beim Kauf eines geeigneten Pflegeproduktes
    2. oft eine Hervorhebung von Produkteigenschaften, die nur minimal zutreffen

Hast Du zumindest zwei Mal die Antwort b) gewählt? Dann geht es Dir beim Blick auf die Werbung der Kosmetikindustrie wahrscheinlich wie mir: nicht gut.

Denn der Spagat zwischen dem, was Kosmetikhersteller in deren Werbeaussagen mitteilen sollen und dem, was sie tatsächlich mitteilen, könnte oft nicht größer ausfallen.


EU-Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln

Meine ursprüngliche Idee war, mich in das Wettbewerbsrecht sowie in die EU-Verordnungen und Guidelines, die sich auf Werbeaussagen zu kosmetischen Mitteln beziehen, einzulesen. Diese habe ich aber aufgegeben. Abschreckend fand ich dabei allerdings nicht den Literaturumfang. Vielmehr ist mir schnell klar geworden, wie einfach die Regelungen umzugehen sind und wie mithilfe von unauffälligen Marketing-Tricks etwas verkauft werden darf, was es eigentlich kaum ist.

Allein zu wissen, was die Kosmetikindustrie darf, bringt uns also nicht weiter.

Denn wenn irreführende Behauptungen trotzdem möglich sind, obwohl diese eigentlich gar nicht geäußert werden dürfen, müssten wir diese jedesmal in Eigenregie auf rechtliche Stimmigkeit prüfen.

Wie können wir uns also selbst schützen, um a) kein Geld für unwirksame Produkte auszugeben und b) die Hautbarriere durch hautunfreundliche Pflegepräparate nicht zu beschädigen?

Habt Ihr Vorschläge dafür?

Mein Vorschlag wäre etwa, dass wir das durch eine häufige Übung in drei Schritten tun:

  1. Wir werden uns regelmäßig diverse Werbeaussagen anschauen
  2. Marketingversprechen mit dem Produktinhalt vergleichen
  3. Und unsere Schlüsse daraus ziehen.

So wird das Auge trainiert und mit der Zeit besser in der Lage sein, gute Pflegepräparate von ungeeigneten Cremes und Seren zu unterscheiden.

Was meint Ihr?

Weiter unten findet Ihr unsere erste Trainingseinheit zu einer Vitamin C Creme.


Verordnung der EU-Kommission von 2013 – zum Schutz der Endverbraucher

Als Hilfe bei unseren laienhaften Vergleichen der beiden Bereiche einer Produktbeschreibung – Anspruch und Wirklichkeit – kann uns die Verordnung der EU-Kommission von 2013 dienen (Nr. 655/2013). Diese lautet: „Zur Festlegung gemeinsamer Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln.“

Dort wurden nämlich Kriterien für Werbeaussagen zu kosmetischen Mitteln aufgelistet, welche Verbraucher vor irreführenden Behauptungen in Bezug auf kosmetische Mittel möglichst weitgehend schützen sollten.

Mit anderen Worten: Die Tendenz zur Irreführung in Werbeaussagen wird in den EU-Institutionen erkannt. Gemeinsame Kriterien zur Formulierung von Marketingbehauptungen sollten also in erster Linie dazu dienen, uns – Verbraucher – vor solchen illusorischen Versprechen zu schützen.


Kriterien – Kurzform:

Ich möchte Euch gerne diese Kriterien auflisten. Lesen müsst Ihr sie nicht. Es ist aber zweckdienlich, diese an dieser Stelle alle beisammen zu haben. So können wir bei Bedarf immer wieder darauf zurückgreifen.

Zu diesen Kriterien zur Begründung von Werbeaussagen im Zusammenhang mit kosmetischen Mitteln gehören:

Kurzform:

  1. Wahrheitstreue
  2. Belegbarkeit
  3. Redlichkeit
  4. Lauterkeit
  5. Fundierte Entscheidungsfindung

Kriterien – Langform:

In Klammern findet ihr meine Interpretationen.


Wahrheitstreue

    1. Wird in einer Werbeaussage für ein Produkt behauptet, dass es einen bestimmten Bestandteil enthält, muss dieser gezielt vorhanden sein. (Das sagt nichts darüber aus, wie viel von diesem Bestandteil enthalten sein muss.)
    2. Werbeaussagen, die sich auf die Eigenschaften eines bestimmten Bestandteils beziehen, dürfen nicht den Eindruck erwecken, dass das Endprodukt dieselben Eigenschaften hat, wenn dies nicht der Fall ist. (Wenn also ein Serum als Pigmentflecken aufhellend dargestellt wird, WEIL es Vitamin C enthält; von dem Vitamin C allerdings eine zu geringe Menge beigefügt wurde, um einen aufhellenden Effekt zu erzeugen, sollte das Serum  den Anspruch auf Aufhellung nicht für sich reklamieren dürfen.)
    3. Marketing-Mitteilungen dürfen nicht den Eindruck erwecken, Meinungsäußerungen seien nachgeprüfte Aussagen, es sei denn, eine Meinungsäußerung spiegelt eine nachprüfbare Tatsache wider.

Belegbarkeit

      1. Werbeaussagen über kosmetische Mittel — ob explizit oder implizit — müssen durch hinreichende und überprüfbare Nachweise belegt werden, unabhängig von der Art der für die Bestätigung der Aussagen herangezogenen Nachweise (gegebenenfalls einschließlich Sachverständigengutachten) (Das heißt, es gibt keine allgemein gültigen Kriterien, wie die behauptete Wirkung eines Produktes nachgewiesen werden sollte bzw. nach welchen Kriterien gutachtliche Stellungnahmen verfasst werden sollten.)
      2. Die Nachweise zur Bestätigung von Werbeaussagen müssen den Stand der Technik berücksichtigen.
      3. Werden Studien als Nachweis herangezogen, so müssen diese relevant für das Produkt und den behaupteten Nutzen sein, auf einwandfrei entwickelten und angewandten Methoden (gültig, zuverlässig und reproduzierbar) basieren und ethischen Erwägungen Rechnung tragen. (Das ist ein sehr vages und interpretationsbedürftig formuliertes Kriterium.)
      4. Die Beweiskraft der Nachweise bzw. Belege muss mit der Art der getätigten Werbeaussage in Einklang stehen; dies gilt insbesondere für Aussagen, bei denen eine fehlende Wirksamkeit ein Sicherheitsproblem verursachen könnte. (Ergo: wenn fehlende Wirksamkeit kein Sicherheitsproblem darstellt, wird die Beweiskraft der Nachweise geringer gewichtet.)
      5. Eindeutig übertriebene Behauptungen, die vom durchschnittlichen Endverbraucher nicht wörtlich genommen werden (Hyperbel), und Behauptungen abstrakter Natur müssen nicht belegt werden. (Hier kann der Hersteller behaupten, dass unsere Haut durch ein anti-Aging-Serum bald einer glatten Engelshaut ähneln wird und das wäre wohl okay, weil eindeutig übertrieben und voll abstrakt.)
      6. Eine Aussage, die Eigenschaften eines Bestandteils (explizit oder implizit) auf das Endprodukt extrapoliert, muss durch hinreichende und überprüfbare Nachweise belegt werden, etwa durch den Nachweis einer wirksamen Konzentration des Bestandteils im Produkt. (Dieser Punkt ist etwas konkreter: zwar sind „hinreichende und überprüfbare Nachweise“ weiterhin vage und definitionsbedürftig, dennoch soll die Wirksamkeit eines Produktes, das eine bestimmte Substanz hervorhebt, die wirksame Konzentration dieser Substanz belegen.)  
      7. Die Bewertung der Annehmbarkeit einer Werbeaussage stützt sich auf das Gewicht der Nachweise in Form sämtlicher verfügbarer Studien, Daten und Informationen und richtet sich nach der Art der Werbeaussage sowie nach dem allgemeinen Wissensstand der Endverbraucher.

Redlichkeit

    1. Darstellungen zur Wirkung eines Produkts dürfen nicht über das hinausgehen, was die vorhandenen Nachweise belegen. (Ebenfalls vage, denn die Beweiskraft der Nachweise wird unpräzise definiert.)
    2. Werbeaussagen dürfen dem betreffenden Produkt keine besonderen (d. h. einzigartigen) Eigenschaften zusprechen, wenn ähnliche Produkte dieselben Eigenschaften aufweisen.
    3. Ist die Wirkung eines Produkts an bestimmte Bedingungen gekoppelt (z. B. die Verwendung zusammen mit anderen Produkten), so muss dies klar angegeben werden.

Lauterkeit

    1. Werbeaussagen über kosmetische Mittel müssen objektiv sein und dürfen weder Wettbewerber noch Bestandteile, die rechtmäßig in kosmetischen Mitteln verwendet werden, herabsetzen. (Hier stellt sich die Frage, inwiefern Aussagen all derjenigen Kosmetikfirmen, welche etwa Mineralöle, Silikone, chemische UV-Filter, Parabene, etc. als hautschädlich bezeichnen, immer noch zulässig sind? Denn dies impliziert, dass Unternehmen, welche diese Inhaltsstoffe einsetzen, der Haut der Kunden schaden). 
    2. Aussagen über kosmetische Mittel dürfen nicht zu Verwechslungen mit Produkten von Wettbewerbern führen.

Fundierte Entscheidungsfindung

    1. Werbeaussagen müssen für den durchschnittlichen Endverbraucher klar und verständlich sein.
    2. Werbeaussagen sind ein unmittelbarer Bestandteil der Produkte und müssen Informationen enthalten, die es dem durchschnittlichen Endverbraucher ermöglichen, eine fundierte Kaufentscheidung zu treffen. (Das heißt, der Verbraucher sollte in der Lage sein, ein für seine Hautbedürfnisse geeignetes Produkt alleine aufgrund von Informationen wählen können, die vom Hersteller bereitgestellt wurden.)
    3. In Marketing-Mitteilungen ist zu berücksichtigen, inwieweit die Zielgruppe (Bevölkerung der betreffenden Mitgliedstaaten bzw. einzelne Bevölkerungssegmente, z. B. Endverbraucher verschiedenen Alters und Geschlechts) in der Lage ist, die Aussage zu erfassen. Marketing-Mitteilungen müssen klar, präzise, relevant und für die Zielgruppe verständlich sein.

Diese Kriterien wurden in 2017 durch ein technisches Dokument (hier) präzisiert, das allerdings nicht rechtlich verbindlich ist.


Training für besseres Verständnis von Marketing-Sprache

Da wir nun wissen, was rechtlich erlaubt ist, nehmen wir heute als erste Trainingseinheit die „Vitamin C Cream“ von Daytox auf die Agenda.

Daytox Vitamin C Gold Komplex

Die Menge an Vitamin C in Form von Ascorbinsäure ist in der Creme äußerst gering gehalten. Sie wird somit keine nennenswerte antioxidative Wirkung auf die Haut entfalten können. Ein solches Produkt als „Vitamin C Creme“ zu verkaufen, ist meines Erachtens irreführend.

Allerdings spricht die „Marketingsgeschichte“ durchgehend über die fantastische Wirkung von Vitamin C und extrapoliert diese nicht auf die Wirkung der Creme. D.h. es wird berichtet, dass Ascorbinsäure die Haut aufhellt und zu einem ebenmäßigen Hautbild beiträgt. Dasselbe wird jedoch über die Creme – als Endprodukt – nicht behauptet. (Denn dafür ist die Menge des Antioxidans offenbar nicht ausreichend.)

Clever, oder?

Für „einen wunderschönen, ebenmäßigen Teint“ sorgt in der Daytox Creme nicht das Vitamin C, sondern explizit „feine Goldpartikel“.  Trotzdem bekomme ich – als Verbraucher – den Eindruck, dass die „Vitamin C Cream“ zur Reduktion von Pigmentflecken beitragen und die Haut von freien Radikalen schützen wird – weil sie eben das wirkungsvolle Antioxidans: Vitamin C erhält.

Ihr könnt die Marketing-Mitteilung allerdings anders lesen. Wie seht Ihr das?


Wahr, unwahr und das Schwammige dazwischen

Was dürfen Kosmetikfirmen versprechen also? Wie haben gerade gesehen: recht viel!

Also liebe Leserinnen und Leser, uns bleibt nichts anders übrig, als Werbeaussagen zu Kosmetikprodukten jeweils mit dem Produktinhalt zu vergleichen.

Erst daraus kann der Schluß gezogen werden, ob man das Kosmetikprodukt braucht oder nicht.

Denn das Marketing rund um Kosmetik ist eine riesengroße Maschinerie. Dahinter sitzen viele kluge Köpfe, die menschliche Schwächen, Komplexe und Kaufneigungen analysieren und in attraktive Werbesprüche umsetzen.

Diese sollten zwar wahrheitsgetreu, belegbar, redlich und lauter sein. Verlassen kann man sich darauf jedoch nicht – zumindest dann nicht, wenn wir diese Kriterien aus Sicht eines gesunden Menschenverstands interpretieren wollen; nach dem Motto: wahrheitstreu muss doch eigentlich wahr bedeuten, oder?

Nicht unbedingt.

Werbeaussagen zu kosmetischen Mitteln zeigen uns nämlich unverkennbar, wie kompliziert das Leben ist. Eine simple Einteilung zwischen wahr versus unwahr, belegt versus unbelegt und redlich versus unredlich ist offenbar passé. Dazwischen liegen kilometerlange Interpretationsmöglichkeiten. Hier scheinen PR-Gurus der Kosmetikindustrie die rechtlich zugelassene Interpretationsweite gekonnt nutzen zu können.

Wie Perry Romanowski schreibt: „Hersteller von Kosmetikprodukten sind klug in der Art und Weise, wie sie ihre Aussagen formulieren. Nämlich so, dass sie in der Regel der Wahrheit entsprechen, die Verbraucher aber mit anderen Eindrücken hinterlassen.“ (frei übersetzt)

Mit diesem nüchternen Akzent grüße ich Euch herzlich und bin auf einen regen Austausch zu dem Thema (gerne mit Beispielen) sehr gespannt!

Auch Juristen unter uns sind herzlich eingeladen, uns ein paar Interpretationsmöglichkeiten aufzuzeigen und meine eventuellen Denkfehler zu korrigieren. Dafür danke ich Euch im Voraus!


Lesestoff

Werbesprache der Kosmetikindustrie: Von Luxus und High-Tech-Hautpflege

  Beste Drogerieprodukte

Allergene Duftstoffe in Hautpflege 

Eure Pia

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