Titandioxid, are you kidding me?

Titandioxid UV Filter (1)

Ist Titandioxid ein guter UV-Filter?

Titandioxid – mineralischer Schutz, der überdacht werden muss

Heute melde ich mich mit einer spannenden Sonnenschutz-Nachricht:

Mineralische Sonnenschutzfilter Zinkoxid und Titandioxid reflektieren UV-Strahlen nur in geringem Maße; vielmehr absorbieren sie die Sonnenstrahlen innerhalb der Epidermis, genauso wie chemische Filter das tun.


Chemische vs. mineralische Sonnenschutzfilter

Jahrzehntelang gingen Forscher davon aus, dass die sog. chemischen Filter (etwa Avobenzone, Octocrylene, Mexoryl oder Tinosorb) und die sog. mineralischen Filter (Zinkoxid und Titandioxid) die Haut auf unterschiedliche Art und Weise schützen. Demnach sollten chemische Filtersubstanzen die Sonnenstrahlen in der Haut (Epidermis) auffangen, während mineralische Filter die UV-Strahlung reflektieren sollten, noch bevor sie in die Haut gelangen.

Laut neuesten Forschungsergebnissen (klick) reflektieren mineralische UV-Filter jedoch nur eine geringe Menge von Sonnenstrahlung (um 4%, d.h. weniger als SPF 2); den Großteil wird hingegen in der Haut absorbiert! Demnach schützen beide Filterarten – chemische und mineralische – die Haut auf exakt dieselbe Art und Weise. Sie fangen nämlich die Sonnenenergie in der Epidermis auf und wandeln diese in Wärme um.

Diese Information hat vor ein paar Tagen ein in der skincare community bekannter kanadischer cosmetic chemist und Blogger, Stephen, veröffentlicht und hierzu die oben verlinkte Studie als Beweis herangezogen (Der Artikel ist hier kostenlos zugänglich). Das ist übrigens die nicht erste Studie, die die Wirkungsweise von mineralischen Filtern auf den Kopf stellt. In dem oben verlinkten Artikel findet Ihr weitere Quellen hierzu. Ebenfalls hier (2011findet Ihr einen Hinweise auf die absorbierende Funktion von mineralischen Filtern im UV-Bereich („visible light is not absorbed by TiO2 particles but effectively scattered and reflected while absorption occurs (apart from scattering) in the UV-range“) wie auch Quellen zu anderen Studien. Vor kurzem hat auch Kathrin zu dem Thema in den Nachrichten aus der Chemie gelesen (prais_the_snail). Findet sie das Heft hierzu, werde ich den Beitrag um weitere Informationen ergänzen.


Warum ist diese Information wichtig? Zunächst einmal muss natürlich eine weitere Forschung abgewartet werden. Sollte die andere Wirkungsweise von Zinkoxid und Titandioxid jedoch in Zukunft durch mehrere Studien bestätigt werden, wäre dies für uns aus zumindest fünf Gründen relevant:


Mineralische Filter als Zusatzgarantie?

Diejenigen von Euch, die zuvor den Sonnenschutz-Trick praktiziert haben, zunächst einmal ein Sonnenschutzmittel mit „chemischen“ und anschließend – als „top up“ – ein mit mineralischen Filtern aufzutragen, sollten diese Methode jetzt überdenken. Sollten Zinkoxid- und Titandioxid-Partikel tatsächlich in die Epidermis gelangen müssen, um die schützende Wirkung zu entfalten, müssten sie zunächst einmal eine dicke Schicht von „chemischen“ Filter durchdringen. Und da gute Sonnenschutzprodukte auf der Basis von chemischen Filtern nun mal nicht gerade eine leichte Konsistenz haben und oft einen Lipidfilm auf der Haut hinterlassen (insb. die wasser-resistente Variante), ist die Hautpenetration von anschließend aufgetragenen Inhaltsstoffen eine Herausforderung. Daher nehme ich an, dass diese Schichten-Methode (chemisch + mineralisch) nicht mehr als effizient betrachtet werden kann und dass die „reflektierende Zusatzversicherung“ hierdurch entfällt.


Weniger Vorsicht nach dem Auftrag von mineralischen UV-Filtern

Ebenfalls entfällt die extreme Vorsicht beim Auftrag von einer Foundation oder beim Naseputzen und jeglicher Hautreibung nach dem Auftrag von mineralischen UV-Filtern. Würden diese hauptsächlich auf der Hautoberfläche wie kleine lichtreflektierende Spiegelchen wirken, müssten sie möglichst intakt bleiben, um den Schutz zu gewährleisten. Wird ihre Wirkung hingegen erst nach der Absorption in der Haut entfaltet, kann die Nase ohne Angst vor dem Abtragen der Hälfte der Filtersubstanzen geputzt werden. 


Chemisch vs. natürlich? Großes Fragezeichen

Ein häufiges Argument der Verfechter von Zinkoxid und Titandioxid war bislang, dass sie deutlich weniger Hautreaktionen (Unverträglichkeiten) hervorrufen, weil sie eben nicht in die Haut eindringen. Diese Sichtweise muss nun revidiert werden.

Übrigens beruht die Meinung, dass durch die Wahl von mineralische Filtern „natürliche“ – im Gegensatz zu chemischen – Filtersubstanzen in die Haut gelangen, auf falschen Informationen. Neulich habe ich Auszüge aus einem der neuesten Dermatologiebücher auf dem Markt zu UV-Filtern gelesen (Quelle* – in DE bestellbar erst zu Ende des Jahres!). Darin steht noch mal bestätigt, was seit Langem bekannt ist: Damit Sonnenschutzmittel ästhetisch vertretbar sind, werden Zinkoxid und Titandioxid in modernen Sonnenschutzpräparaten entweder in einer mikronisierten (micronized) Form oder – immer häufiger – in Form von Nanopartikeln (<100 nm) eingesetzt. Diese sind in kosmetischen Formulierung praktisch unlösbar und müssen daher chemisch behandelt werden. Die chemischen Prozesse umfassen das sog. Coating von dem metallischen Kern oder Dispersion und Suspension von den Partikeln mit Öl, Lösungshilfsubstanzen oder Weichmachern. Durch diese chemischen Prozesse werden mineralische Filter praktisch zu synthetischen Filtern und die Abgrenzung „mineralisch“ als Gegensatz zu „chemisch“ unhaltbar.

Die Entwicklung von modernen UV-Filtern zu Gunsten immer kleineren Partikelgrößen (da ästhetisch eleganteres Ergebnis) durch hauptsächlich Nanotechnologie ist auch der Grund dafür, warum die Filtersubstanzen in die Haut eindringen! Es bedeutet somit nicht, dass die vorherigen Studien falsche Messmethoden einsetzten oder Auswertungsdefizite aufweisen (das muss freilich erst noch überprüfet werden). Vielmehr beruhten sie auf anderen, früher hauptsächlich verwendeten, Arten von Zink- und Titandioxid, die aufgrund deren Größe in der Lage waren, das Licht zu reflektieren. In diesem Aufsatz wurden acht unterschiedliche mineralische Filtersubstanzen mit divergierenden Partikelgrößen eingesetzt. Je größer die Partikel, in einem desto höheren Ausmaß wurde das Licht reflektiert (im Gegensatz zur Absorbtion).


Längere Einwirkzeit von mineralischen UV-Filtern

Zuvor hieß es, dass die Schutzwirkung von Zinkoxid und/oder Titandioxid sofort nach deren Auftrag beginnt. Nun müsste es heißen, dass die Einwirkzeit genauso wie bei chemischen Filtern ca. 20 Minuten betragen soll. Genauso lange sollte man auch mit dem Auftrag von weiteren Kosmetikprodukten bzw. Abtupfen von Produktresten abwarten.


Vorsicht bei der Auslegung von Forschungsergebnissen

Das ist eine sehr gute Lehre für uns, mit Forschungsergebnissen in diesem sich so dynamisch entwickelnden Bereich wie Hautpflege immer vorsichtig umzugehen. Was heute bewiesen wurde, kann morgen – nicht zuletzt dank technologischem Fortschritt – widerlegt werden. Kaum jemand hat wohl erwartet, dass mineralische Filter doch anders wirken als dies in den letzten Jahrzehnten gepredigt wurde. Die Ausdifferenzierung in der Wirkungsweise zwischen mineralischen und chemischen Filtern wurde als gegeben angenommen. Und plötzlich ist alles anders. Daher sollte man alle Erkenntnisse in Bezug auf Hautpflege mit einer gewissen Skepsis betrachten und die Entwicklung ruhig weiter beobachten.

Eine Vielzahl von Studien, die X bestätigen, heißt lange noch nicht, dass X als „bewiesen“ gilt. Es gilt lediglich als „bewährt“. Das ist ein großer Unterschied, der allen, die mal im Forschungsbereich gearbeitet haben, bekannt ist. Als ich an meiner Doktorarbeit gebastelt habe, wurde mir nach einigen Lektüren klar, dass ich nach dem Falsifizierungsprinzip vorgehen möchte. Grob gesagt besteht die Rolle der Forscher nicht darin, zu versuchen, das bereits Gesagte zu bestätigen. Im Gegenteil sollte er sich die Mühe geben, das bereits Bewährte zu widerlegen! Nur so trägt man zur Weiterentwicklung der Wissenschaft, nur so entstehen neue Erkenntnisse! Bestätigen kannst Du 1000 Mal dasselbe; irgendwann wird’s langweilig. Doch einmal widerlegt – und schwupps müssen neue Antworten gesucht, neue Fragen gestellt und neue Lösungskonzepte entwickelt werden. Wie spannend! Argumentierst Du gerne mit „Studien“, die etwas „bewiesen“ haben, versuch mal, das Bewiesene ab und zu in Frage zu stellen. Gibt es bereits 1000 Studien, die etwas belegten? Suche mal nach denjenigen, die es widerlegt haben. Wie wurde dort argumentiert? Mit welchen Forschungsmethoden wurde gearbeitet? Wie kam es zu einem anderen Ergebnis?

Häufig bekomme ich Fragen, ob ein kosmetischer Inhaltsstoff gesundheitlich unbedenklich sei. Die Antwort ist immer dieselbe: Nach dem heutigen Wissenszustand ist es so. Ob es allerdings so bleibt, weiß keiner. Dies betrifft alle derzeitigen Schlußfolgerungen in dem Hautpflegebereich! Nach dem heutigen Erkenntniszustand sind etwa Nanopartikel sicher (dringen nur in die Epidermis ein). Doch was werden Forscher in 10 Jahren behaupten, vermag keine/r zu sagen.


Ich denke, dass die neuen Aussagen bezüglich mineralischer Filter eine gute Lehre für uns darstellen, Erkenntnisse jeglicher Art zu hinterfragen. Überraschend wird es daher freilich nicht sein, wenn die nächste Studie doch eine reflektierende anstatt einer absorbierenden Rolle von mineralischen Filtern „beweisen“ wird. Hauptsache, wir bleiben am Ball und schauen uns die Entwicklungen in aller Ruhe an. 🙂

Und was denkt Ihr?    lank

Eure Pia


Mehr zum Sonnenschutz auf dem Blog findet Ihr etwa hier:

  1. Sonnenschutz – Fokus auf UVA / vorzeitige Hautalterung – Einführung 
  2. Wie misst man den Schutz vor vorzeitiger Hautalterung (UVA)?
  3. Alles über Sonnenschutz!

Quelle:

*Steven Q. Wang, Henry W. Lim (Hg.): Principles and Practice of Photoprotection, Springer 2016, S. 155 

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nicole

Hallo liebe Pia,

vielen Dank für diese Nachricht. Da kann ich ja ganz entspannt sein. Ich nutze ausschließlich mineralische Filter und habe bislang immer ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn es morgens mal schnell gehen musste und ich meine Foundation mit den Händen auf das Gesicht aufgetragen habe. Hatte immer etwas bedenken, dass die vorherige aufgetragene Sonnencreme dadurch nicht den vollen Schutz mehr hat. Und ich muss die Foundation auch nicht mehr vorsichtig mit einem Schwämmchen auftragen. Also ich sehe die Nachricht ausschließlich erfreut entgegen. Für mich ist es wichtig, dass die Sonnencreme schützt. Wie, ob nun in der Haut oder auf der Haut, spielt für mich keine so große Rolle. Vertrage chemische Filter eh nicht und ich verlasse mich auch nicht auf Studien, sondern versuche auf meine Haut zu hören.
Liebe Grüße
Nicole

Lappland

Sonnenschutzprodukte für Lippen und Augenbereich interessieren mich auch 🙂

Lappland

Liebe Pia,
Magst du kurz schreiben, welche Sonnenschutzprodukte du momentan bzw. im Sommer im Gesicht und Körper verwendest?

Anne-K Schneider

Danke, deine Infos und die links sind äußerst interessant.
Die Wahl des geeigneten Sonnenschutzes gestaltet sich durchaus kompliziert. Und was gestern noch wissenschaftlicher Fakt war, kann vielleicht schon morgen widerlegt werden. Deshalb ist die Suche nach dem besten Sonnenschutz auch unmöglich. Es müsste heißen: die Suche nach dem optimalen Sonnenschutz.
Ich stimme dir voll und ganz zu : Man sollte immer am Ball bleiben und hinterfragen.
Liebe Grüße und ein dickes Dankeschön an dich

Carolin

Hallo Pia, magst Du bitte die Quelle nenne des Fachbuchs, das erst Ende des Jahres in D veröffentlicht werden soll? Es ist kein Link hinterlegt. Danke & Grüße, Carolin

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